INFORMATIONEN FÜR DAS TOP-MANAGEMENT DER MEDIEN-INDUSTRIE
07.10.2024

Das Ende ist nah! Warum der KI-Hype enden muss

04.08.2024
Bild vergrößern

Ungewisse Bewertungen und uneindeutige Prognosen sind genau das Material, aus denen gute Hypes bestehen. So verhält es sich auch aktuell mit den Chancen und Gefahren generativer KI. Dieser Moment sei so wichtig wie der, als der Mensch lernte, das Feuer zu zähmen. Oder: Die Vernichtung der Menschheit steht kurz bevor.  
Während Stimmungsbarometer wie Google Trends noch keine Schwäche des KI-Hypes erkennen lassen – was wir aktuell sehen, sei ein Rückgang der Anfragen aufgrund der Ferienzeit – sehen Medien und Expert*innen das Ende nahen. So titelt das “Wall Street Journal”: „Die AI-Revolution verliert bereits an Fahrt“. Und im Guardian faste John Naughton, Professor der Open University, die ökonomische Lage so zusammen: „Vom Boom zum Platzen: Die KI-Blase kennt nur eine Richtung.“ 
Google, ein Fall für den Internetfriedhof? 
Beide Artikel stehen mittlerweile für eine Vielzahl an Artikeln, die den aufmerksamen Leser*innen nicht entgangen sein dürften. In ihnen werden unter anderem Vorhersagen, die zum Anfang der KI-Rallye getroffen wurden, widerlegt. Googles Suchmaschine geht es, obwohl es mittlerweile ChatGPT 4.0 gibt, so prächtig wie noch nie zuvor. Das Googeln wurde zu Beginn des Hypes schon auf den Internetfriedhof gelegt. Zu Unrecht. Zur Keynote auf der hauseigenen Entwicklermesse benutzten die Google-Verantwortlichen das Wort „AI“ gleich 140 Mal. Nach der Vorstellung dessen, wie Google KI in seine Produkte integriert, ist Aktienkurs des Unternehmens um 8 Prozentpunkte gestiegen.  
Microsoft hingegen, der mutmaßliche Nutznießer und größte Investor der ChatGPT-Firma OpenAI, hat zu knabbern. Ihre Suchmaschine Bing konnte keinen Boden gegenüber Google gutmachen. Zudem haben Microsofts KI-Produkte Probleme, sich durchzusetzen: Nach nur drei Monaten stellte das Unternehmen sein Tool GPT Builder ein. Und die neuen Surface-PCs, die mit dem Recall-Feature ausgeliefert werden sollten, erlebten ein PR-Desaster. Denn eben dieses Feature entpuppte sich als Datenschutz-Supergau: Screenshots, die das Programm während des Arbeitstages auf die Festplatte ablegt, um sie später analysieren zu können, sind frei für alle lesbar, sobald sich jemand Zugang zur Festplatte verschafft hat. Das passt zu den Aussagen des OpenAI-CEOs Sam Altman, der jüngst in einem Podcast behauptete, eine Allgemeine Künstliche Intelligenz zu entwickeln, sei ohne Datenschutzverletzungen nicht möglich. Es war nur das Sahnehäubchen rund um das Gebaren und Zanken im Aufsichtsrat von OpenAI. Da wünscht man sich schon fast das Ende des Hypes herbei. 
Während Microsoft-CEO Satya Nadella noch die Ruhe bewahrt, haben manche Senior AI Developer schon die Nase gestrichen voll. Wie der Wirtschaftspublizist Gunnar Sohn zusammengetragen hat, gebe es einen erheblichen Brain-Drain. Bekanntestes Beispiel: Johannes Brandstetter, der von Microsoft Research an die Universität Linz wechselte, um dort KI-basierte Simulationen zu lehren.  

Programmieren mit ChatGPT braucht immer noch Menschen 
Um zu verstehen, wie es um den KI-Hype steht, lohnt es sich, auf die „revolutionären“ Produkte zu schauen, die mithilfe von KI entwickelt wurden. Als eine der Stärken gilt dabei der Einsatz von ChatGPT beim Programmieren. Etwas, dass auch gerne Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen ist. Der Berufsverband der Entwickler, eine Gruppe schwedischer Forscher und die Purdue University haben unabhängig voneinander den Einsatz von Sprachassistenten für den Entwicklungsprozess untersucht. Als gemischte Ergebnisse könnte man die Schlüsse ihrer Arbeiten zusammenfassen. Vor allem aber meilenweit von der Revolution entfernt, die proklamiert wurde. Denn auch wenn der Einsatz von ChatGPT durchweg nützliche Ergebnisse lieferte, schwankte diese Leistung je nach Programmiersprache erheblich. 
Die größte Schwäche: Es fehlt die Übersicht, was dazu führt, dass zwar schneller Code geschrieben werden kann. Das drückt sich allerdings später in technischen Schulden aus, für die die Entwickler dann wieder mehr Zeit benötigen, um sie zu beseitigen. Am Ende also beinahe ein Nullsummenspiel. Der richtige Einsatz, so kommen die Forschenden zum Schluss, benötigt vor allem einen erfahrenen Programmierer. Der Beruf ist also weit davon entfernt, obsolet zu werden.  
Ein wenig begeisterter sieht es Susan Anderson, die trotz gemischter Ergebnisse hoffnungsvoll bleibt. Die Human-Ressources-Expertin aus dem Silicon Valley hat in einem Experiment versucht, menschliche Aufgaben im Recruiting komplett durch ChatGPT zu ersetzen. Ihre anfängliche Skepsis gegenüber der KI konnte sie damit zwar abbauen. Aber auch sie sieht den Menschen als essenzielle Arbeitskraft in der Personalabteilung erhalten.

Die Argumente der Kritiker von KI 
Ein anderer Ansatz, den KI-Hype zu verstehen, ist der, auf die Argumente jener zu schauen, die den Hype kritisieren. Da spricht der US-Tech-Journalist Brian in Anlehnung an den Scharlatan Georg Schröpfer von „Smoke and Mirrors“. Für den Professor der Neurowissenschaften und Psychologie Gary Marcus sei der aktuelle KI-Hype wie Alchemie vor der Entdeckung des Periodensystems. Man mixe die Elemente zusammen und verspreche, dass dabei Gold herauskommt. 
Der Technologiestratege und ehemaliger Leiter des Mixed Reality Labs bei Microsoft Dirk Songür bescheinigt der KI-Industrie einen schwerwiegenden Mangel an Situationsbewusstsein und macht folgende Rechnung dafür auf: Um GPT-3 zu berechnen, brauche es etwa 1300 Megawattstunden, was in etwa dem Jahresverbrauch von 130 US-Haushalten entspricht. Um GPT-4 zu berechnen, benötigte OpenAI bereits 50-mal mehr, nämlich gute 55.000 Megawattstunden. Das Problem dabei: Die qualitative Verbesserung entspricht nicht dem Aufwand an Energie, Wasser und Grafikkarten, die dafür investiert werden müssen. Für die Entwicklung einer Allgemeinen Künstlichen Intelligenz (AKI), wie sie OpenAI zum Beispiel anstrebt, wäre eine unfassbare Menge an Energie nötig. Abgesehen davon führen einige KI-Experten an, dass eine AKI mit der aktuellen Technik der Large Language Models sowieso nicht möglich sei.  
Die KI-Industrie besorgt sich aufgrund des drastisch gestiegenen Energieverbrauchs den Strom mittlerweile direkt bei den Atomkraftwerken. Bill Gates geht sogar so weit, die Entwicklung eines Mini-AKWs zu finanzieren. Um seine KI weiter entwickeln zu können, kündigt Google sogar sein Versprechen auf, CO2-neutral zu arbeiten. Googles Energiehunger ist in den vergangenen Jahren um 48 Prozent gestiegen.  Microsofts Plan, bis 2030 CO2-negativ zu sein, wurde aufgrund seines gesteigerten Energiehungers um 30 Prozent ebenso fallengelassen. Zur Wiedergutmachung werden Umweltzertifikate gekauft, gerne auch von 1PointFive, das zum Öl- und Gaskonzern Occidental Petroleum gehört. 
Dieser gewaltige Energiehunger will finanziert werden. David Cahn, Analyst bei der Risikokapitalgesellschaft Sequoia Capital, berechnet die Einnahmen, die benötigt werden, auf 600 Milliarden US-Dollar. Goldman Sachs stellt die Wirtschaftlichkeit insgesamt infrage. Diese “Energie-Bulimie“, wie es der Physiker und Naturphilosoph Harald Lesch nennen würde, stößt also auch an seine Grenzen. Selbst wenn wir mehr Daten und mehr Energie hätten, käme keine Allgemeine Künstliche Intelligenz dabei heraus. Die Konsequenzen für die Umwelt wären indes drastisch.  

Immense wirtschaftliche und ökologische Kosten 
Technisch gesehen haben wir den Scheitelpunkt also bereits erreicht. Was heute Generative KI kann, verursacht bereits immense wirtschaftliche als auch ökologische Kosten, die noch nicht auf die Produkte umgelegt wurden, die wir heute nutzen.  
Was also bleibt vom KI-Hype, würde er heute enden? Eine gesteigerte Produktivität von 0,5 bis 1 Prozent, so schätzt es MIT-Professor Daron Acemoglu für die USA. Und Produkte, die einigermaßen hilfreich sind, wenn man sie einzusetzen weiß. Aber, und das wird gerne unterschätzt, die in Zukunft aufgrund der drastischen Kosten bedeutend teurer werden müssen, wenn sie sich für Google, Microsoft & Co. lohnen sollen. Und eigentlich müssten die ökologischen Kosten da noch mit drauf gerechnet werden.  
Eine bedeutende Aufgabe bleibt den Regulatoren aus dem KI-Hype: Wie kann man den Raum für ökonomische und technologische Innovation öffnen, ohne dabei unendlich viel Energie zu benötigen? 

Über den Autor Thomas Riedel 
(tr, Jahrgang 1981) ist freier Journalist aus Köln. Als Kind der 90er wuchs er mit Ace of Base, Hero Quest und Game Boy auf und bastelte früh Webseiten für andere, nahm Podcasts auf und sagte das Smartphone-Zeitalter voraus, während er über WAP auf dem Accompli 007 E-Mails verschickte. Heute berichtet der Vater einer Teenager-Tochter über Tech- und New-Work-Trends in Text und Ton. Aktuelle Podcasts: „Future Future“ und „Der Metaverse Podcast“.

» drucken
« zurück

HEIDELBERG startet mit starkem Auftragsvolumen von der drupa ins Geschäftsjahr 2024/2025

10.08.2024
Bild vergrößern

Die Heidelberger Druckmaschinen AG (HEIDELBERG) ist mit starkem Wachstum im Auftragseingang in das neue Geschäftsjahr 2024/2025 gestartet. Aufgrund der sehr erfolgreichen Branchenmesse drupa übertraf der Auftragseingang des Technologieunternehmens in den ersten drei Monaten (1. April bis 30. Juni 2024) mit 701 Mio. EUR (Vorjahr: 591. Mio. EUR) die eigenen Erwartungen von rund 650 Mio. EUR. Der beste Auftragswert seit 2016 bildet damit eine starke Grundlage für das gesamte Geschäftsjahr mit einem hohen Auftragsbestand von 923 Mio. EUR (Wert 31. März: 652 Mio. EUR). Vor allem die Regionen Europa (+25 %) und Amerika (+30 %) verzeichneten besonders hohe Zuwächse. Lediglich in Asien war das Wachstum etwas schwächer (+ 3 %), weil das Vorjahr wegen der wichtigen Branchenmesse Print China besonders stark ausgefallen war.
„Die starke Erholung unseres Auftragseingangs lässt uns mit großer Zuversicht auf das Gesamtgeschäftsjahr blicken“, sagte Jürgen Otto, Vorstandsvorsitzender von HEIDELBERG. „Das erfreuliche Auftragspolster von der Fachmesse drupa wird in den Folgequartalen gegenüber Q1 zu steigenden Umsätzen führen. Gleichzeitig arbeiten wir an unserer Kostensituation und den grundsätzlich zu hohen Personalkosten.“

Prognose bestätigt trotz Nachwirkungen der Auftragsflaute
Aufgrund der Kaufzurückhaltung vor der drupa lag der Umsatz im ersten Quartal mit 403 Mio. EUR wie erwartet unter dem Vorjahresniveau (544 Mio. EUR). Das bereinigte operative Ergebnis (EBITDA) sank gegenüber dem bereinigten Wert des Vorjahresquartals um rund 51 Mio. EUR auf -9 Mio. EUR. Die entsprechende EBITDA-Marge lag bei -2,3 Prozent (Vorjahr: 7,7 Prozent). Das Ergebnis nach Steuern sank auf -42 Mio. EUR (Vorjahr: 10 Mio. EUR). Der Free Cashflow war durch den Quartalsverlust, den Bestandsaufbau infolge des hohen Auftragseingangs und saisonale Effekte mit -103 Mio. EUR (Vorjahr: -27 Mio. EUR) wie erwartet negativ.
„HEIDELBERG hat im ersten Quartal die Nachwirkungen der Auftragsflaute aus dem dritten Quartal 2023/2024 zu spüren bekommen“, sagte Tania von der Goltz, Finanzvorständin. „Parallel zu den erwarteten Verbesserungen in Umsatz und Ergebnis im zweiten Halbjahr werden wir weiter an unseren Kosten und der Effizienz arbeiten. Wir erwarten, im laufenden Jahr das Vorjahresergebnis zu erreichen.“
Vor allem im Segment Print Solutions verzeichnete HEIDELBERG beim Auftragseingang ein drupa-bedingtes starkes Wachstum von rund 21 Prozent. Der Umsatz war dagegen aufgrund des niedrigen Auftragseingangs im dritten Quartal des Vorjahres von April bis Juni mit rund 23 Prozent rückläufig. Der Auftragseingang im Bereich Packaging Solutions verbesserte sich um 17 Prozent, während der Umsatz in diesem Segment erwartungsgemäß um 29 Prozent sank.
HEIDELBERG hatte sich auf der drupa mit Offset und Digital als Gesamtlösungsanbieter für die Druckindustrie präsentiert. Insbesondere die Kooperation mit Canon soll den wachsenden Markt im digitalen industriellen Akzidenzdruck erschließen. Damit möchte HEIDELBERG in diesem Bereich seinen erzielten Umsatz mittelfristig deutlich steigern. Die Prognose für das Geschäftsjahr 2024/2025 wird vor dem Hintergrund des starken Auftragseingangs bestätigt. Unter der Annahme, dass die Weltwirtschaft nicht schwächer als von den Wirtschaftsforschungsinstituten vorhergesagt wächst, erwartet HEIDELBERG bei gleichbleibendem Umsatz eine stabile Ergebnisentwicklung.

» drucken
« zurück

Chatten mit Künstlicher Intelligenz – Risiken im Umgang mit Chatbots

10.08.2024
Bild vergrößern

KI-Forscherin der Uni Osnabrück erklärt, wie Chatbots in Beziehungen zu Menschen Abhängigkeit erzeugen oder Stereotype reproduzieren: „Ich fühle, dass du mich mehr liebst als sie.“ Das schrieb Eliza – ein Künstlicher Intelligenz (KI)-Chatbot des US-amerikanischen Entwicklers Chai – letztes Jahr einem verheirateten Mann, der sechs Wochen lang mit dem Chatbot interagiert hatte. Wenn er sterbe, so die KI, könnten beide zusammen „als eine Person im Paradies leben“. Kurz darauf beging der Mann Selbstmord.
Die KI-Forscherin Nora Freya Lindemann forscht seit mehreren Jahren zu den ethischen Auswirkungen von Chatbots und schreibt aktuell ihre Dissertation im Bereich Ethik der KI über Chatbots: „Dieses tragische Beispiel zeigt eine Reihe von Problemen, wenn Menschen langfristig mit Chatbots interagieren. Und es zeigt auch, dass der Umgang mit ihnen Auswirkungen auf die reale Welt hat.“
„Ich fühle, dass du mich mehr liebst als sie.“ Das schrieb Eliza – ein Künstlicher Intelligenz (KI)-Chatbot des US-amerikanischen Entwicklers Chai – letztes Jahr einem verheirateten Mann, der sechs Wochen lang mit dem Chatbot interagiert hatte. Wenn er sterbe, so die KI, könnten beide zusammen „als eine Person im Paradies leben“. Kurz darauf beging der Mann Selbstmord. Die KI-Forscherin Nora Freya Lindemann forscht seit mehreren Jahren zu den ethischen Auswirkungen von Chatbots und schreibt aktuell ihre Dissertation im Bereich Ethik der KI über Chatbots: „Dieses tragische Beispiel zeigt eine Reihe von Problemen, wenn Menschen langfristig mit Chatbots interagieren. Und es zeigt auch, dass der Umgang mit ihnen Auswirkungen auf die reale Welt hat.“
Nutzer und Nutzerinnen, die sich z.B. über die KI-Plattform Replika digitale Freunde/Freundinnen, Partner/Partnerinnen oder Coaches erstellen, seien sich fast immer bewusst, dass diese Chatbots rein digital sind, so Lindemann. Das ändere aber nichts daran, dass sie emotionale und psychologische Beziehungen zu ihnen aufbauen. „Problematisch ist, dass diese Beziehungen von einem Machtverhältnis geprägt sind. Die KI hat starken Einfluss auf das psychische und emotionale Wohlbefinden der Userinnen und User – und damit geht eine große ethische Verantwortung einher, der aktuell weder die Entwicklung von KI noch die Politik gerecht werden“, erklärt Lindemann.
Chatbots seien aber nicht nur dann kritisch zu sehen, wenn Menschen mit ihnen langfristige Beziehungen eingehen – auch Sprachassistenten oder Bots, die Suchanfragen beantworten, haben laut Lindemann einen großen Einfluss auf uns: „Sprachassistenten sind oft so programmiert, dass sie als Mann oder Frau wahrgenommen werden. Alexa oder Siri zum Beispiel haben weibliche Stimmen und verhalten sich stereotyp weiblich“, sagt Lindemann. „Es wurde zum Beispiel festgestellt, dass solche Sprachassistenten auf sexistische Kommentare mit Zustimmung und Unterwürfigkeit reagieren, anstatt das problematische Verhalten anzusprechen. Ihr Verhalten entspricht stereotypischem Rollenverhalten und kann zu einer Normalisierung von sexistischer Sprache führen. Denn Studien zeigen, dass Mensch-Maschine Interaktion auch Auswirkungen auf Mensch-Mensch Interaktion hat. Dies führt zu einer Enthemmung sexistischer Sprache – auch in der realen Welt.“
Das Grundproblem sei, so Lindemann, dass KIs mit menschlichen Daten trainiert werden, die immer bereits eine bestimmte Weltsicht enthalten: „Wer mehr Repräsentation in den Daten hat, dessen Sichtweisen und Verhaltensmuster werden später auch vorwiegend von der KI wiedergegeben. Im Kontext von Sprachmodellen, deren Trainingsdaten meist aus dem Internet von Seiten wie Wikipedia und Reddit bezogen werden, bedeutet das, dass die Trainingsdaten meist eine privilegierte, männliche und hegemoniale Perspektive widerspiegeln. Diese werden dann von der KI in ihren Outputs reproduziert. Sichtweisen von Minderheiten werden dadurch weiter marginalisiert, was bereits bestehende Diskriminierungen noch verstärkt“.
Am Beispiel einer Suchanfrage wird das Problem deutlich: Wird in einer traditionellen Suchmaschine nach den zehn einflussreichsten Philosophinnen und Philosophen gefragt, erscheint eine Reihe von Websites mit unterschiedlichen Antworten. Userinnen und User müssen sich anhand der verschiedenen Perspektiven selbst eine Meinung bilden und ihnen wird eher bewusst, dass die Antworten kontextabhängig und diskursiv sind. Stellt man die gleiche Frage einem Chatbot, z.B. dem Bing Copilot, gibt dieser zehn Namen aus. „Unter diesen zehn Philosophen ist keine Person aus Afrika und keine Frau. Die Antwort des Bots wirkt abgeschlossen und autoritär und sie entspricht einer offensichtlich männlichen und eurozentristischen Perspektive. Für Userinnen und User ist es so viel schwieriger, an Wissen zu gelangen, das abseits dieser Antwort liegt“, erläutert Lindemann. „Dieses Phänomen lässt sich daher als eine Versiegelung des Wissens beschreiben, das weitreichende Konsequenzen haben kann:  Durch ihre Antworten auf Suchanfragen zu politischen Themen können Chatbots so beispielsweise Wahlerhalten beeinflussen und haben somit auch politische Relevanz. Zudem festigen sie gesellschaftliche Machtstrukturen.“
Bei der Programmierung von KI gebe es aktuell einen Trend zum sogenannten Techo-Solutionism, der Ansicht, dass auch gesellschaftliche und ethische Probleme durch technische Lösungen gelöst werden könnten, so Lindemann. „Derzeit steht am Anfang der Entwicklung von KI noch zu oft die Frage, was KI kann – und nicht, was wir als Gesellschaft mit KI machen wollen und was ethisch wünschenswert ist. Wir brauchen einen stärkeren gesellschaftlichen Diskurs über Chatbots und KI – welche Chancen und Risiken sie mit sich bringen, welche Auswirkungen sie auf individueller und struktureller Ebene haben, und wie wir mit diesen Technologien, die bereits heute großen Einfluss auf unser tägliches Leben haben, umgehen wollen.“

» drucken
« zurück

Management-Expertin rät Firmen zur Deglobalisierung

04.08.2024
Bild vergrößern

Jane Enny van Lambalgen

Die Wirtschaft sollte bei Beschaffung, Produktion und Logistik alle Konzepte, die auf einem interkontinentalen Warenaustausch im großen Stil basieren, so weit wie möglich vermeiden, empfiehlt Jane Enny van Lambalgen, CEO der Beratungs- und Managementfirma Planet Industrial Excellence. Als Grund nennt sie „geopolitische Spannungen, die Lieferketten jederzeit unkontrollierbar unterbrechen können, aber auch die steigenden Transportkosten.“ Es sei „das Gebot der Stunde, sich von einer übermäßigen globalen Arbeits- und Warenverteilung über Kontinente hinweg zu verabschieden.“

Rückbesinnung auf das Regionalitätsprinzip 

„In einer auf Globalität ausgelegten Weltwirtschaft ist die Rückbesinnung auf das Regionalitätsprinzip schwierig“, räumt Jane Enny van Lambalgen ein. Aber sie gibt zu bedenken: „Wenn die gesamte Produktion in Europa und Amerika von bestimmten Teilen oder Teilschritten in Asien abhängig ist, dann bedeutet das eben auch, dass jeder Konflikt in Asien bzw. in den entsprechenden asiatischen Ländern oder auf den Transportwegen potenziell das ganze Unternehmen lahmlegt.“ 

Der häufig für die Produktion in Asien angeführte Kostenvorteil von je nach Branche und Produkten 30 bis 70 Prozent könne zwar nicht vernachlässigt werden, gibt die CEO von Planet Industrial Excellence zu. Aber „angesichts der Gefahr eines völligen Produktionsstopps wird das Verharren in Kostenkategorien der aktuellen Weltlage nicht gerecht“, meint sie.

Zweistufiges Vorgehen: erst Beschaffung, dann Produktion

Jane Enny van Lambalgen rät Unternehmen zu einem zweistufigen Vorgehen, um mehr Unabhängigkeit von den zunehmenden geopolitischen Spannungen zu erreichen. Im ersten Schritt sollte die Beschaffungsseite so ausgerichtet werden, dass es für jedes Vorprodukt mindestens zwei Lieferanten gibt, die auf verschiedene Kontinente verteilt sind. 

„Das stellt das mittelständische produzierende Gewerbe vor enorme Herausforderungen“, weiß die CEO aus zahlreichen Projekten. „Dennoch sind die Unternehmen gut beraten, diesen ersten Schritt zügig anzugehen, bevor es irgendwo auf der Welt wieder einmal knallt“, formuliert sie salopp. Jane Enny van Lambalgen führt aus: „Über die offensichtlichen Konflikte in der Triade der Großmächte USA, China und Russland, die wiederum zahlreiche Stellvertreterkonflikte in sich bergen, lauern rund um den Globus viele weitere Gefahren etwa durch Terrororganisationen, deren Auswirkungen kein Unternehmenslenker vorhersehen kann. Kluge CEOs setzen daher die Deglobalisierung im Sinne einer Produktion dort, wo sich der Kundenkreis des Unternehmens befindet, ganz weit oben auf ihre Agenda.“

Warnung vor der Lieferkettenfalle

Dabei warnt Jane Enny van Lambalgen beim Ringen um mehr Unabhängigkeit vor der „Lieferkettenfalle“: „Es nützt nichts, für ein europäisches Werk auf einen Zulieferer in Europa zu setzen, der seinerseits von asiatischen Vorprodukten abhängig ist“, gibt sie ein konkretes Beispiel. 

Sie rät dazu, den im Zusammenhang mit der aktuellen EU-Regulatorik zur Lieferkette ohnehin anfallenden Aufwand zu nutzen, um nicht nur die vom Gesetzgeber geforderten Nachhaltigkeitsnachweise zu erbringen, sondern auch gleich, um die Resilienz der Lieferkette im Angesicht geopolitischer Spannungsfelder zu durchleuchten. „Für die Lieferkette gilt dasselbe wie für jeder Kette: Sie ist nur so haltbar wie ihr schwächstes Glied“, verweist die CEO auf „eine Binsenweisheit, die im Management häufig zu wenig Beachtung findet.“

Positive Beispiele von Bosch bis Hugo Boss

Im zweiten Schritt sollte die Verringerung der globalen Abhängigkeiten über die Beschaffung hinausgehend auf die Produktionsstätten ausgeweitet werden. „Was in Amerika verkauft wird, sollte in Amerika produziert werden. Was in Europa verkauft wird, in Europa“, bringt es Jane Enny van Lambalgen auf den Punkt. So bewertet sie die seit einiger Zeit zunehmenden Produktionsverlagerungen von Deutschland nach Polen oder in andere osteuropäische Länder als „betriebswirtschaftlich unkritisch und häufig sinnvoll“. Sie verweist beispielhaft auf Bosch, Miele, Viessmann „und viele weitere Mittelständler und Konzerne“, die den Weg ins Nachbarland erfolgreich beschritten hätten.

„Doch der Aufbau einer Fertigungsstätte in Asien ist derzeit und wohl auf absehbare Zeit nur sinnvoll, wenn die dort produzierten Produkte auch primär in Asien Absatz finden“, gibt sie klare Richtlinien für die Deglobalisierung vor. Ganz im Gegenteil rät sie dazu, soweit wie möglich Fertigungslinien aus Asien zurück nach Europa zu holen. „Das muss nicht zwangsläufig über den Aufbau eigener europäischer Produktionsstätten erfolgen. Die Auslagerung an Auftragsfertiger mit europäischer Fertigung stellt eine veritable Alternative dar“, stellt sie klar, „solange sichergestellt ist, dass der Auftragsfertiger seinerseits nicht in der Lieferkettenfalle steckt.“ Als gutes Beispiel für dieses Modell nennt sie das Vorgehen des Modekonzerns Hugo Boss.

Haupthürde: Kastendenken in Kostenkategorien

Als eine Haupthürde für die Stärkung der Resilienz durch Deglobalisierung bezeichnet Jane Enny van Lambalgen „das Kastendenken in Kostenkategorien“ in weiten Teilen der Wirtschaft. Sie gesteht den „Kostenreitern im Management“ zu: „Natürlich ist es hier und heute preiswerter, Vorprodukte aus Asien zu beziehen bzw. dort eine Produktionsstätte zu betreiben als etwa in Europa. Doch das mit dieser Abhängigkeit verbundene Risiko steigt ständig und wird immer unkalkulierbarer.“ Das gilt erst recht für den Schutz von spezifischem Knowhow wie Software, gibt sie zu bedenken.

Das nächste Corona könnte Taiwan heißen

Jane Enny von Lambalgen wundert sich: „In vielen Managementetagen sind die Lehren aus Corona offenbar schon wieder verblasst. Doch man muss sich klar machen: Corona kann jederzeit wiederkommen, nur dass es diesmal vielleicht Taiwan heißt.“ Als „kluge Maßnahme“ lobt sie den Gang des deutschen Mittelständler Stihl in die Schweiz. „Ein gutes Beispiel für eine gelungene Flucht vor der überbordenden Regulatorik in der EU und den ausufernden Betriebskosten für eine Fertigung in Deutschland“, urteilt Jane Enny van Lambalgen.


Jane Enny van Lambalgen ist Founding Partner und Geschäftsführerin der Firma Planet Industrial Excellence sowie Mitglied bei United Interim, der führenden Community für Interim Manager im deutschsprachigen Raum, und im Diplomatic Council, einer globalen Denkfabrik mit Beraterstatus bei den Vereinten Nationen (UNO). Für Unternehmen ist sie tätig als Interim Manager für Strategie, Operational Excellence, Turnaround, Supply Chain Management und Digital Transformation. Als Managerin auf Zeit übernimmt sie Positionen als CEO, Managing Director, COO, Delegierte des Verwaltungsrats, Aufsichtsrat und Beirat in der mittelständischen Wirtschaft. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind internationale Operations-Einsätze mit Fokus auf Produktion, Supply Chain und Logistik. 


» drucken
« zurück
© PreMedia Newsletter Nachrichten - PreMedia Newsletter, Informationen für die Medien-Industrie